Ein normales Leben

Ein normales Leben: Patenschaften für Geflüchtete

Das DRK-Patenschaftsprojekt bringt Geflüchtete und Paten zusammen. Das hilft Geflüchteten nicht nur bei ihrer Ankunft in Deutschland – oft entwickeln sich auch gute Freundschaften, die für Ablenkung sorgen und Trost spenden. Wie im Fall von Nenad Belic und Lena Genz.

„Ich habe mich lange Zeit gefragt, was mit mir nicht stimmt. Bis ich angefangen haben zu fragen: Was stimmt eigentlich mit meinem Land nicht?“, sagt Nenad. Der 30-jährige lebt seit Januar 2017 mit rund 500 anderen Geflüchteten in der DRK-Erstaufnahmeeinrichtung in Wünsdorf und wartet darauf, dass über seinen Asylantrag entschieden wird. Nenad kommt aus Serbien und ist homosexuell.

Heute ist Nenad mit Lena verabredet. Die beiden haben sich über das DRK-Patenschaftsprojekt kennengelernt, das Geflüchtete in ihrem neuen Alltag in Deutschland unterstützt. Als Treffpunkt hat Lena den Südblock vorgeschlagen, ein Lokal in Kreuzberg, das Berlins Vielfalt an diesem Sonntagnachmittag nicht besser spiegeln könnte: Hier trifft multikultureller Alltag auf queere Szene und übernächtigtes Partyvolk. Nenads Haare sind blondiert. Er trägt ein enganliegendes Hemd, einen bunten Schal und auch ein wenig Make-up. Nichts Ungewöhnliches für Berlin. „In Serbien wäre es undenkbar, so auf die Straße zu gehen“, sagt Nenad.

Lena kann gut nachvollziehen, was Nenad bewegt. Die Sozialrichterin führte vor vier Jahren noch ein Leben als Mann. Bevor sich die 62-jährige dazu entschied, ihr Leben komplett umzukrempeln, lebte sie mit Frau und Kindern in einem Häuschen am Potsdamer Stadtrand. „Zu dem zu stehen, was ich bin, hat lange gedauert und mich sehr viel Kraft gekostet“, sagt Lena.

Ausgrenzung, Diskriminierung und physische Gewalt

Zwar hat Nenad früh festgestellt, dass er auf Männer steht. Trotzdem hat auch er vieles versucht, um sich anzupassen, ein „normales Leben zu führen“, wie er sagt. Sogar eine Beziehung zu einer Frau habe er gehabt. „Für mich eine Zeit voller Zwänge und falscher Konventionen, die mich innerlich gebrochen hat“, resümiert Nenad heute.

In Serbien halten viele die gleichgeschlechtliche Liebe für eine Gefahr für die Gesellschaft, eine Krankheit, die geheilt werden muss. Homosexuelle erleben nicht nur Ausgrenzung, Diskriminierung und psychische Gewalt, sie werden auch physisch attackiert.

In seiner Heimatstadt Novi Sad hat sich Nenad nur wenigen Menschen anvertraut. „Zu gefährlich“, sagt er. Ein Leben in Serbien kann sich Nenad nicht mehr vorstellen. Die aggressive Stimmung gegen Homo- und Transsexuelle werde nicht nur von der Kirche, sondern auch von Politikern vertreten und habe sich in den letzten Jahren sogar noch weiter verstärkt, erklärt Nenad. Das macht ein Outing für ihn nahezu unmöglich. Klar gebe es in Deutschland auch Anfeindungen. „Der große Unterschied ist aber, dass mir die Polizei hier hilft, wenn ich Probleme habe. In Serbien ist das in der Regel nicht der Fall“.

Zwischen Hoffnungen und Ängsten

In Deutschland fühlt sich Nenad sicher. Aber wie für viele andere Geflüchtete bedeutet die lange Zeit des Wartens auf den Asylbescheid eine unerträgliche Mischung aus großen Hoffnungen und ebenso großen Ängsten, wieder zurück zu müssen. Eine Patenschaft kann diese Unsicherheit natürlich nicht lösen, sie kann aber für Ablenkung sorgen und Trost spenden“, sagt DRK-Projektkoordinatorin Anne Hoffmann.

Die ersten Wochen in Deutschland geht es Nenad sehr schlecht. Er hat Panik-Attacken und Depressionen. Von den DRK-Mitarbeitern bekommt Belic viel Unterstützung. Sie hören ihm zu, geben ihm Ratschläge und vermitteln ihm eine Psychotherapie. Die meisten Menschen, die er hier trifft, seien sehr aufgeschlossen gegenüber anderen Lebensweisen. Das gefällt Nenad an Deutschland. „Trotzdem können Heterosexuelle nicht richtig nachvollziehen, was es bedeutet, ein falsches Leben führen zu müssen“, sagt er.

Von einer DRK-Mitarbeiterin erfährt Nenad vom Patenschaftsprojekt. Bei der Vermittlung der Paten achtet Anne Hoffmann darauf, dass sie zueinander passen und sich sympathisch sind. „Im Idealfall entwickelt sich eine Freundschaft“, sagt Hoffmann. Bei Lena und Nenad hatte sie gleich ein gutes Gefühl. Wenige Zeit später erkundet das Duo Potsdam und Berlin. Sie reden viel über das Leben, darüber wie es ist, gegen Vorurteile anzukämpfen und trotzdem den eigenen Weg zu gehen. Der Kontakt zu Lena tut Nenad gut. Er lernt nicht nur Deutschland kennen, die Gespräche helfen ihm auch dabei, zu sich selbst zu finden: „Lena ist eine intelligente und starke Frau. Sie gibt mir sehr viel Kraft, mein Leben so zu leben, wie ich es will“.

Die Aussichten auf Asyl sind für Nenad weiterhin ungewiss. Aber er sieht die Dinge jetzt optimistischer: „Ich werde weiter für meine Zukunft und für ein freies Leben kämpfen und ich bin mir sicher, dass ich einen Weg finde“.

Sie interessieren sich für eine Flüchtlingspatenschaft? Pate kann jeder werden, der sich für Menschen in Not interessiert und Geflüchteten bei ihrer Ankunft in Deutschland helfen möchte. Beim DRK werden die Patenteams vor Ort betreut und begleitet. Das Bundesfamilienministerium unterstützt Patenschaften mit einem Taschengeld von 200 Euro. Weitere Auskünfte gibt Anne Hoffmann Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein..

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