EOK-Kurse: Warum Erstorientierungskurse für Bewohnende in Erstaufnahmeeinrichtungen so wichtig sind

In Erstorientierungskursen bekommen Geflüchtete das Handwerkzeug präsentiert, das ihnen den Alltag in Deutschland erklären, näherbringen und erleichtern soll. Neben Exkursionen in deutsche Supermärkte und Busfahrten lernen sie in den Kursen auch das Einmaleins der deutschen Sprache. Und bekommen einen Eindruck, was es heißt, in Deutschland zu leben.

Wenn Geflüchtete in den Außenstandorten der Erstaufnahmeeinrichtung in Wünsdorf oder Doberlug-Kirchhain ankommen, haben sie meist einen langen und schweren Weg hinter sich gelassen, um dort und in Deutschland anzukommen.

Für die meisten, die zum Teil aus Kriegsgebieten geflohen sind, stellt die neue Heimat und das neue Umfeld eine enorme Herausforderung dar. Vor allem die Sprache – also Deutsch – nicht sprechen zu können, erschwert den Lebensalltag enorm. Wie also Geflüchteten das Ankommen in Deutschland erleichtern? Eine Antwort darauf sind die sogenannten Erstorientierungskurse, kurz: EOK-Kurse.

Diese finden auch in den Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete statt und können freiwillig besucht werden. Das Ziel: Ihnen Themen des Alltags in Deutschland zu präsentieren und beim Kennenlernen der neuen Umgebung helfen, wo dies möglich ist: Welche lokalen Besonderheiten gibt es? Wie funktioniert die medizinische Versorgung? Was gibt es beim Einkaufen zu beachten? Auch das Lernen der deutschen Sprache spielt in den EOK-Kursen eine große Rolle.

Arbeit mit Geflüchteten „gibt mir unheimlich viel zurück“

„Die Geflüchteten, die allgemein etwa sechs Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung sind, lernen Deutschland bei uns in verschiedenen Modulen kennen“, sagt Günter Falkenhahn. Er ist Koordinator der EOK-Kurse in der Einrichtung in Doberlug-Kirchhain.

Insgesamt sechs EOK-Kurse finden gleichzeitig statt. Ein Kurs umfasst 20 Stunden pro Woche über einen Zeitraum von rund vier Monaten. Meist besteht ein Kurs aus 15 bis 18 Teilnehmenden. Als Koordinator kümmert er sich um das Drumherum der Kurse, also: die Lehrkräfte, das Material, Abrechnungen, die Ausstattung der Räume.

Fällt eine Honorarkraft kurzfristig aus, springt er in EOK-Kursen ein und gibt Kurse. Seit 2018 ist er Mitarbeiter der DRK Flüchtlingshilfe Brandenburg. „Ich fand es spannend und wollte unbedingt mit Geflüchteten arbeiten. Ich hatte das Gefühl, dass genau diese Arbeit mich erfüllen könnte“, sagt Günter Falkenhahn. „Und das Schöne ist: Ich habe richtig gelegen. Es ist beeindruckend, wie unheimlich viel mir die Arbeit zurückgibt.“

Heraufordernde Sprachvermittlung für EOK-Lehrkräfte

Die größte Motivation seiner Arbeit schöpft er daraus, wenn Bewohnende wachsen, besser werden und alles ihnen Mögliche in Bewegung setzen, um sich selbst einen Alltag in Deutschland zu gestalten, ein Leben aufzubauen. Trotz aller Sorgen und Probleme, die sie zum Teil mit in die Erstaufnahmeeinrichtungen bringen: „Manche haben ihre Familie verloren, haben psychische Traumata zu verarbeiten, sind in großer Sorge wegen ihres unsicheren Aufenthaltsstatus. Andere kommen aus Ländern, in denen sie nicht das lateinische Alphabet gelernt haben“, sagt Günter Falkenhahn.

Das sei sowieso eine der größten Herausforderungen in den EOK-Kursen: die Sprachvermittlung. In den Kursen kann es vorkommen, dass Menschen mit verschiedenen sprachlichen Voraussetzungen diese machen, aber die Lehrkräfte alle gleich bedienen, fordern und fördern sollen.

Geflüchtete helfen Lehrkräften in EOK-Kursen

Was EOK-Kurse und die Arbeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen bewegen können, weiß Günter Falkenhahn, wenn er über sein Ausnahmetalent spricht: Yazeed Mubarak. Yazeed Mubarak kam als Geflüchteter aus dem Sudan in die Erstaufnahmeeinrichtung und arbeitet mittlerweile als administrativer Verwalter in der Einrichtung. „Er ist eine riesengroße Hilfe und so ein schlauer Typ. Das ist es eben: Unter den Bewohnenden sind so einige studierte, kluge Menschen, die große Lust haben, sich in Deutschland zu verwirklichen“, sagt er.

Manche, die ihre EOK-Kurse abschließen und weiter in der Erstaufnahmeeinrichtung leben, unterstützen später die Lehrkräfte in den EOK-Kursen. Sie geben anderen Geflüchteten Hilfestellungen, die ihnen selbst beim Ankommen in Deutschland geholfen haben. „Das schafft eine ganz andere Motivation in den EOK-Kursen. Allein, wenn sie ihnen damit die Angst vor der deutschen Sprache nehmen können, ist das von unschätzbarem Wert. Denn Deutsch ist der Schlüssel für jeden, um sozial in Deutschland anzukommen“, sagt Günter Falkenhahn.

„Es ist so wichtig, sich um die Menschen zu kümmern“

Auch außerhalb der Kurse hat er immer ein offenes Ohr für die Bewohnenden, hilft beim Ausfüllen von Behördendokumenten wie Arbeitserlaubnissen, Umverteilungsanträgen. „Es ist so wichtig, sich um die Menschen zu kümmern. Es ist mein persönlicher Ansporn, sie in Lohn und Brot zu bringen“, sagt der 58-Jährige.

Umso mehr wurmt es ihn, wenn hochtalentierte und clevere Bewohnende, die sich engagieren wollen, auf Transfer in die Brandenburger Kommunen gehen und dann die Förderung, die sie in der Erstaufnahmeeinrichtung erhalten haben, ins Stocken gerät oder ausbleibt. „Wenn ich einen Wunsch für die Geflüchteten frei hätte, wäre es, die Übergänge zwischen Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften zu verbessern“, sagt er.

Günter Falkenhahn ist sich sicher: Verbessern sich die Übergänge, fassen die Menschen auch in den Kommunen schneller Fuß, identifizieren sich mit ihrer Umgebung, hängen sich rein, wo Hilfe nötig ist – und bauen sich Stück für Stück ein eigenes Leben in Deutschland auf.

70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention: Mehr Aufmerksamkeit für Binnenvertriebene notwendig

Die Genfer Flüchtlingskonvention wird nach Einschätzung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) künftig an Bedeutung gewinnen. „Krieg, Konflikte, Verfolgung und Vertreibung führen dazu, dass sich immer mehr Menschen auf der Flucht befinden. Dass Menschen, die verfolgt werden, verbindliche Rechte gewährt werden, ist eine große Errungenschaft“, sagt DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt anlässlich des 70. Jahrestages der Genfer Flüchtlingskonvention am 28. Juli. Insbesondere die Zahl der Binnenflüchtlinge und Klimavertriebene habe in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen. „Dieser Personenkreis fällt nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention und erhält keinen ausreichenden Schutz. Der Situation dieser Menschen müssen wir größere Aufmerksamkeit widmen. Hier ist die internationale Staatengemeinschaft gefordert, um für die Betroffenen langfristig Lebensperspektiven zu schaffen“, sagt Hasselfeldt weiter.

Die Zahl der Flüchtlinge, die unter das Mandat des Hochkommissars für Flüchtlinge der Vereinten Nationen fallen oder von Staaten anerkannt wurden, hat sich zwischen 2010 und 2019 von 10,5 auf 20,4 Millionen Menschen verdoppelt. Die meisten stammen aus Syrien, Südsudan, Myanmar und Venezuela. Die Zahl der Binnenflüchtlinge, die vor Konflikten innerhalb ihres Landes Zuflucht suchen, ist innerhalb von zehn Jahren von 24,9 auf 45,7 Millionen angestiegen. Hinzu kommt eine schwer schätzbare Zahl von Menschen, die aufgrund von Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen haben. Das Deutsche Rote Kreuz hilft geflüchteten Menschen weltweit im Verbund mit anderen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften und auch in Deutschland mit vielen unterschiedlichen Maßnahmen und Leistungen. „Gerade an den Grenzen, auch den EU-Außengrenzen, ist darauf zu achten, dass Rechte der Schutzsuchenden gewahrt werden“, sagt Hasselfeldt. Damit seien insbesondere das Recht, einen Asylantrag zu stellen und das Recht auf eine menschenwürdige Unterkunft gemeint.

Am 28. Juli 1951 wurde in Genf das „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ verabschiedet – die Genfer Flüchtlingskonvention. Sie legt fest, wer ein Flüchtling ist, nämlich eine Person, die aus begründeter Angst vor Verfolgung wegen „ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ ihr Heimatland verlassen hat und dort keinen Schutz finden kann. Zentral ist das sogenannnte „Non-Refoulement“-Gebot, wonach ein Flüchtling nicht in ein Land zurückgewiesen werden darf, in dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht sein würden.

 

Quelle: DRK e.V. https://www.drk.de/presse/pressemitteilungen/meldung/70-jahre-genfer-fluechtlingskonvention-drk-mehr-aufmerksamkeit-fuer-binnenvertriebene-notwendig/

Erfahrungsbericht aus der Migrationsberatung: Unsere Arbeit mit den Menschen

Menschen, die neu nach Deutschland kommen, sind im Alltag mit vielen Fragen und Herausforderungen konfrontiert. Seit mehr als 15 Jahren unterstützt das Rote Kreuz in Brandenburg diese Menschen in seinen Migrationsberatungsstellen für erwachsene Zuwanderer (MBE). Doch was machen die Beraterinnen und Berater konkret? Wie unterstützen sie die Menschen, die zu ihnen kommen? Darüber berichtet Migrationsberaterin Laura C. und gibt Einblicke in ihren Alltag in der DRK-Beratungsstelle in Potsdam.

Laura C. arbeitet in der MBE-Beratungsstelle in Potsdam. Eine alleinerziehende Mutter mit Fluchterfahrung bittet um Unterstützung. Sie berichtet, dass sie mit ihren Kindern in einer Wohnung lebt, für die sie keinen Untermietvertrag hat. Die Wohnung sei außerdem nicht sicher für sie und ihre Kinder. Mehrmals sei ihr und den Kindern Gewalt angedroht worden. Die Familie suche deshalb schnellstmöglich eine neue Bleibe. DRK-Migrationsberaterin Laura C. bietet der Familie einen Beratungstermin an.

Gemeinsam Probleme analysieren und Lösungen finden

Bei dem Termin stellt sich heraus, dass bei der Familie mehrere Baustellen anstehen:

  • Die Familie musste ihre aktuelle Wohnsituation schnellstens ändern
  • Die Familie befindet sich zum Zeitpunkt der Beratung in einer sehr prekären finanziellen Lage
  • Es bestanden Schulden bei der Krankenversicherung, sodass seitens der Krankenkasse eine Ruhenswirkung der Leistungen eingeleitet wurde. Die Familie konnte nur in akuten Fällen ein Arzt besuchen.
  • Die Kinder gingen weder zur Schule noch in die Kita
  • Dazu kamen noch Probleme aufenthaltsrechtlicher Natur

Seit der Fall von der Migrationsberatungsstelle betreut wird, hat sich vieles geändert: In nur sieben Monaten hat die Familie eine eigene Wohnung gefunden. Sie wurde vorübergehend in Absprache mit dem Sozialamt in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht. Die Mutter hatte sich sehr um eine neue Wohnung bemüht und diese letztendlich auch bekommen. Die Kinder gehen alle zur Schule bzw. zur Kita. Die Mutter sucht gerade mit Unterstützung der Beratungsstelle nach einem geeigneten Integrationskurs. Alle Familienmitglieder sind krankenversichert und haben einen gesicherten aufenthaltsrechtlichen und finanziellen Status.

Schnelle Hilfe durch übergreifende Netzwerke

Das hier vorliegende Beispiel zeigt, dass Ratsuchende mit Hilfe einer fachkundigen Unterstützung die Herausforderungen, die ihnen in ihrem Integrationsprozess begegnen, selbstständig meistern können. Voraussetzung dafür ist aber ein funktionierendes Kooperationsnetzwerk, in dem verschiedene Unterstützungsangebote ineinandergreifen. Ohne dieses enge Netz an Angeboten wären die zu Beginn der Beratung bestehenden Probleme trotz der Beharrlichkeit der Klientin und der Unterstützung der Beraterin nicht zu realisieren gewesen.

Die Familie befindet sich noch in Begleitung der MBE-Beratungsstelle und wird die nächsten drei Jahre, solange dies von der Ratsuchenden gewünscht wird, auch weiterhin begleitet werden.

Informationen zu den Migrationsberatungsstellen der DRK-Flüchtlingshilfe Brandenburg finden Sie hier: https://www.drk-fluechtlingshilfe-brb.de/angebote/migrationsberatung-fur-erwachsene-zuwanderer-mbe

Objektleiter der Erstaufnahmeeinrichtung Wünsdorf: Christian Seiler im Gespräch

Objektleiter der Erstaufnahmeeinrichtung Wünsdorf: Christian Seiler im Gespräch

Christian Seiler ist Objektleiter der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Wünsdorf. Nachdem er bereits in Afrika, Asien und Osteuropa gelebt und gearbeitet hat, war es für den 51-Jährigen ein besonderes Anliegen, die Objektleitung der Einrichtung zu übernehmen. Im Gespräch hat er uns erzählt, wie ihm seine interkulturellen Erfahrungen im Arbeitsalltag helfen, wie herausfordernd die Corona-Pandemie für ihn als Objektleiter war und warum ihn kleine Freundschaften zu Kindern von Bewohnenden immer wieder berühren.

Hallo Herr Seiler, Sie sind seit 1. November 2018 Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Wünsdorf. Was hat Sie damals bewegt, den Job anzugehen?

Von 2001 bis 2016 habe ich fast ununterbrochen im Ausland gearbeitet. Ich war für die staatliche Entwicklungszusammenarbeit und andere internationale Organisationen im Einsatz – in Afrika, Asien und Osteuropa. Natürlich hinterlässt das Spuren und der Blick auf die Welt ändert sich. Als im Herbst 2018 die Stelle als Objektleiter ausgeschrieben wurde, war ich natürlich sehr daran interessiert, wieder im „internationalen“ Kontext zu arbeiten. Das fehlte mir dann doch sehr. Ich kenne viele Fluchtgründe aus eigener Anschauung und habe auch im Ausland als Büro- und Teamleiter gearbeitet. Das passte also.

Inwiefern ähnelt der Beruf des Objektleiters dem des Wirtschaftsförderers, den Sie vorher im Jüterboger Rathaus bekleidet haben?

Gemeinsam ist die Arbeit mit Menschen und deren Interessen. Die Bewohnenden wie auch meine Mitarbeitenden haben Interessen und Bedürfnisse. Diese immer in Einklang zu bringen und dabei zu unterstützen und Möglichkeiten der Selbsthilfe aufzuzeigen, ist ähnlich. Die Rahmenbedingen der Menschen sind dagegen äußerst unterschiedlich.

Vor ihrer Tätigkeit in Wünsdorf waren sie im Ausland tätig, haben in Indonesien, Uganda und Afghanistan gelebt und gearbeitet. Inwiefern helfen Ihnen ihre Auslands- und interkulturellen Erfahrungen bei der Arbeit als Objektleiter, bei der Arbeit in der Einrichtung?

Auch in Laos und in der Ukraine habe ich eine ganze Weile gelebt und gearbeitet. Wie schon angedeutet, helfen mir diese Erfahrungen wirklich sehr. Wir sind in der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Wünsdorf ein interkulturelles Team. Meine Mitarbeitenden kommen aus 13 verschiedenen Ländern und wir decken 15 Sprachen ab. Das macht unglaublich viel Spaß, in einem solchen Team zu arbeiten. Aber es ist auch manchmal nicht einfach, da eben viele verschiedene Kulturen aufeinandertreffen. Und dies immer im Hinterkopf zu haben und auch annehmen zu können, habe ich im Ausland gelernt. Meine innere Ausgeglichenheit, die ich mir wohl aus meiner Zeit in Südostasien mitgebracht habe, hilft mir vor allem auch in arbeitsintensiven und stressigen Situationen.

Was heißt es, Objektleiter in der Erstaufnahmeeinrichtung in Wünsdorf zu sein?

Ich bin dafür verantwortlich, dass alle Bereiche der Einrichtung funktionieren: für die Wirtschaftsplanung, die Personalauswahl sowie die Koordination von Verwaltungsabläufen innerhalb der Einrichtung. Konkret bedeutet dies neben vielen Mails, Listen und Telefonaten natürlich das Gespräch mit den Mitarbeitenden, der Geschäftsführung, unserem Auftraggeber und unseren Subunternehmen. Bei Problemen und Konflikten in der Einrichtung bin ich die letzte Eskalationsstufe und am Ende bin ich für die Fürsorge meiner Mitarbeitenden verantwortlich. Das alles geht nicht ohne das gesamte Team. Der Job ist nur was für Teamplayer. Und: Man weiß morgens nicht, was passieren wird und jeder Tag bringt neue Themen und Herausforderungen.

Ich komme in der Regel gegen halb acht in die Einrichtung und gehe um fünf. Manchmal früher, manchmal später. Mein Telefon ist aber tatsächlich 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche an. Und klingelt auch mal abends und am Wochenende.

Seit Anfang 2020 prägt die Corona-Pandemie das Alltagsleben in weiten Teilen der Welt, seit März 2020 das Leben in Deutschland. Können Sie in Worte fassen, wie herausfordernd die Corona-Situation für Sie als Objektleiter war und ist – und worin diese Herausforderung bestand, weiterhin besteht?

Ganz ehrlich, aber da geht es wohl so einigen Menschen ähnlich: Noch so ein Jahr brauche ich nicht. Neben den organisatorischen Herausforderungen war sicherlich die emotionale Belastung für uns alle nicht einfach. Es war ja nicht nur am Arbeitsplatz belastend, sondern auch im privaten. Man hat bei den Mitarbeitenden und auch bei sich selbst gemerkt, dass der fehlende Ausgleich wie Urlaubsreisen, ein Besuch im Restaurant und andere Freizeitaktivitäten an die Substanz gingen. Am schwierigsten war die Situation aber sicher für die Eltern unter uns und die Kinder – fehlende Schule, eingeschränkte Kitabetreuung etc. Das ließ viele an ihre Grenzen gehen.

Ich muss aber auch sagen: Organisatorisch hat das ganze Team der DRK Flüchtlingshilfe am Standort Wünsdorf Großes geleistet und trotz der massiven Einschränkungen unseren Bewohnenden eine menschenwürdige Unterbringung und Betreuung gesichert. Ich bin überzeugt, dass eine solche Krise auch ein Team zusammenschweißt. Es macht mich stolz, wenn man sich auf seine Mitarbeitenden verlassen kann. Und das war eine wirklich gute Erfahrung.

Im November 2021 sind Sie drei Jahre Objektleiter der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Wünsdorf. Im Rückblick: Welche Entwicklungen der Einrichtung machen Sie froh, welche sehen Sie kritisch? Und nach vorne geblickt: Wo sehen Sie Potentiale, um die Bedingungen in der Einrichtung für Mitarbeitende und Bewohnende noch lebenswerter zu machen?

Die Rahmenbedingungen in Wünsdorf sind weiterhin sehr gut, sowohl für unsere Bewohnenden als auch für die Mitarbeitenden. Wir haben uns als Organisation weiterentwickelt und sind meiner Meinung nach professioneller geworden. Daran wollen wir anknüpfen. Dinge kontinuierlich zu hinterfragen und dabei festzustellen, dass es gut ist, wie es ist oder manchmal verbessert werden kann, ist und bleibt unsere Herangehensweise.

Wie stehen Sie als Objektleiter im Kontakt zu Bewohnerinnen und Bewohnern?

Aufgrund meiner Rolle habe ich vor allem mit Bewohnenden Kontakt, die einen besonderen Betreuungsbedarf haben. Natürlich bin ich aber auch auf dem Gelände viel unterwegs und ich esse in der Mensa mit den Bewohnenden. Dort werde ich regelmäßig angesprochen und auch gezielt als Objektleiter angefragt. Ich selbst spreche fließend Englisch und recht gut Indonesisch. Letzteres hat mir im Arbeitsalltag in der Erstaufnahmeeinrichtung allerdings bisher nicht geholfen. Da aber mein Team fast alle Sprachen abdeckt, stehen mir immer Mitarbeitende unterstützend zur Seite, wenn ich Übersetzungshilfe brauche.

Möchten Sie eine kurze Geschichte aus dem Alltag in der EAE erzählen, an die Sie sich gerne erinnern?

Die schönsten Geschichten sind die, bei denen wir es gemeinsam schaffen, Bewohnenden, die besondere Herausforderungen haben, zu helfen. Da gab es glücklicherweise in der Vergangenheit so einige, die aufgrund ihrer psychischen oder physischen Situation ansonsten „durch das Raster“ gefallen wären. Zu sehen, wie die eigene Hilfe und Unterstützung dafür sorgt, dass es Menschen besser geht, macht mich froh und motiviert ungemein.

Als Vater eines kleinen Sohnes berühren mich auch kleine „Freundschaften“ mit Kindern. Es ist traurig und schön zugleich, wenn sie nach ihrer Zeit bei uns in Wünsdorf zum Transfer in den Bus steigen, der sie zum nächsten Punkt ihrer langen Reise in den Landkreis bringt.

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Warum die Arbeit von Repräsentanten in Erstaufnahmeeinrichtungen so wichtig ist

Warum die Arbeit von Repräsentanten in Erstaufnahmeeinrichtungen so wichtig ist

Repräsentantinnen und Repräsentanten leisten in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Doberlug-Kirchhain und Wünsdorf unbezahlbare Arbeit, indem sie zwischen Bewohnenden und Mitarbeitenden der DRK Flüchtlingshilfe Brandenburg vermitteln, Ansprechpersonen sind sowie neue Bewohnende beim Ankommen unterstützen. In Wünsdorf hat nun erstmals ein Repräsentanten-Workshop stattgefunden, der alle begeistert hat.

Sie sind Vertrauenspersonen für die Bewohnenden und ihre Communitys, sind Ansprechpartner für die Mitarbeitenden des DRK, vermitteln zwischen Gruppen: Repräsentantinnen und Repräsentanten übernehmen in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Doberlug-Kirchhain und Wünsdorf gleich mehrere wichtige Aufgaben, die zu einem harmonischen und konstruktiven Miteinander in den Einrichtungen beitragen.

Auch in der Sprachmittlung, als Vermittelnde bei Konflikten oder Helferinnen und Helfer für neue Bewohnende, die sich in den Einrichtungen orientieren wollen, leisten Repräsentantinnen und Repräsentanten einen unschätzbar wichtigen Beitrag.

Das Gute daran: Sie werden von den Bewohnenden selbst gewählt und vertreten ihre Communitys, sind Vertretende der Sprachgruppe – unabhängig vom Geschlecht. Die Mitarbeitenden des DRK achten aber darauf, dass alle Gruppen nahezu gleich vertreten sind und dass nach Möglichkeit je Sprachgruppe eine Frau und ein Mann gewählt werden.

„Ich bin froh, Repräsentant zu sein und etwas für die Menschen aus meiner Community machen zu können“, sagt ein Repräsentant aus der Erstaufnahmeeinrichtung in Doberlug-Kirchhain. Für ihn sei es eine Ehre, für die Gruppe tätig und Vertreter ihrer Sprachgruppe zu sein.

Diese Ziele haben die Repräsentanten-Workshops

Um die Teamfähigkeit der Repräsentantinnen und Repräsentanten auszubauen, die Solidarität untereinander zu fördern und die Motivation zu steigern, wurde gemeinsam von der Sozialberatung und der Sozialbetreuung in der Erstaufnahmeeinrichtung Wünsdorf ein Workshop entwickelt.

Die Idee dahinter war, dass sie die Möglichkeit bekommen, ihre Schwierigkeiten zu äußern sowie Strategien erlernen sollen, mit diesen umzugehen und Stress abzubauen. Der Repräsentanten-Workshop ist eine Mischung aus pädagogischen und künstlerischen Elementen zum Kennenlernen, teambildenden Maßnahmen und der Vermittlung von theoretischem Wissen über Stress, Aggressionen, Deeskalation und nonverbaler Kommunikation.

Nach der theoretischen Erarbeitung zu Beginn des Workshops wurde die Idee den Repräsentantinnen und Repräsentanten vorgestellt. Es wurde über die Vorstellung ehrenamtlicher Arbeit gesprochen sowie die Vorteile dargelegt, die die Bewohnenden haben, die diese Arbeit in der Einrichtung ausüben. Auch Erfolgsmomente waren Thema, die Repräsentantinnen und Repräsentanten von ehemaligen Bewohnenden hörten.

Gemeinsam wurde das erste Mal nach fünf Jahren ein Aufgabenprofil für Repräsentantinnen und Repräsentanten erstellt und erörtert, welche Verantwortung sie tragen und welche Rolle sie in ihren jeweiligen Communitys einnehmen. Darüber hinaus wurden gemeinsam Regeln entwickelt, die für alle während der gesamten Veranstaltung gelten.

Repräsentanten in Erstaufnahmeeinrichtungen: Für den Umgang mit Stress sensibilisiert

Das Fazit des ersten Tages war durchweg positiv. Die Repräsentantinnen und Repräsentanten waren begeistert und rundum glücklich über die Möglichkeit, an einem solchen Workshop teilzunehmen. Die Teilnehmenden waren offen und kommunikativ und nahmen großen Anteil an dem Geschehen.

Am zweiten Tag sollten alle Teilnehmenden erfahren, welche Auswirkungen Stress auf ihren Körper hat. Zuerst wurde mit einem Warm-up gestartet, damit sich jeder jeden Namen merken konnte. Danach ging es darum, was Stress überhaupt ist und woher dieser kommt. Dazu wurden gemeinsam Ideen gesammelt. Nach einer Definition von Stress konnten die Teilnehmenden in einem selbstreflektierenden Teil in einem Körperdiagramm einzeichnen, wo sie selbst den Stress in ihrem Körper fühlen und wie er sich für sie anfühlt.

In der Auswertung teilten die Repräsentantinnen und Repräsentanten ihre persönlichen Erfahrungen und begutachteten alle gemalten Bilder als größere Form an einer Wand. Zur Verdeutlichung des Ausgewerteten wurde ein Video gezeigt, in dem erklärt wurde, was medizinisch im Körper passiert, wenn ein Mensch unter großem Stresseinfluss steht. Es folgte eine Übung zum Cool Down, in der der Stress aus den Körpern geklopft und gestrichen wurde.

Repräsentanten in der Erstaufnahmeeinrichtung in Wünsdorf vom Workshop begeistert

Das Fazit des zweiten Tages war erneut absolut positiv. Die Repräsentantinnen und Repräsentanten brachten sich aktiv ein und probierten alles aus. Außerdem haben sie sich gut selbst reflektieren können. Das Feedback war durchweg positiv und eine große Dankbarkeit für diese Veranstaltung wurde spürbar.

Sowohl den Teilnehmenden als auch den Veranstaltenden hat der zweitägige Repräsentanten-Workshop außerordentlich gut gefallen. Geplant ist, diesen nun mit wechselnden Themen als Block von sechs Einheiten alle zwei Wochen zu wiederholen. Am Ende hat jeder Teilnehmende ein Zertifikat für die Teilnahme bekommen.

Ein Erfolg dieser Veranstaltung ist schon die ersten Tage danach spürbar. Sei es bei der Verlässlichkeit, bei Absprachen, bei der Präsenz der Repräsentantinnen und Repräsentanten in den Büros oder bei ihren alltäglichen Aufgaben. Aufgrund des Erfolgs des Workshops ist in Planung, dass ähnliche Workshops auch in der Erstaufnahmeeinrichtung in Doberlug-Kirchhain stattfinden.

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